Name ist Schall und Rauch – Anonymität im Internet (I)

In den Kommentaren zur Seite «Über kritikasterblog» hat Christian Erne, Blogger bei Verfaulte Geschichten, darum gebeten, Transparenz auch bezüglich des Bloggers herzustellen.

Das kritikasterblog allerdings wird anonym (genauer gesagt: pseudonym) bleiben. Im folgenden wird dargelegt, welche Gründe zu dieser Entscheidung führten.

Anonymität ist ein Grundrecht

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Anonymität grundrechtlich geschützt ist, nämlich als Teilgehalt des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, welches seinerseits Teilgehalt des Rechts auf persönliche Freiheit nach BV 10 und des Rechts auf Privatsphäre nach BV 13 ist {Rudin, 2007, 24 ff.}. Aus diesem Grund ist nicht die Ausübung des Anspruchs auf Anonymität, sondern dessen Einschränkung – die Offenlegung der Identität – rechtfertigungsbedürftig {Rudin, 2008, 7}.

Zur Rechtfertigung der Abschaffung der Anonymität im Internet führen deren Befürworter die Argumente an, dass (1) Realnamen das Nutzerverhalten verbessern würden, dass (2) Klarnamen gegen Cyber-Stalking und Cyber-Mobbing helfen und die Täter einfacher greifbar machen würden und dass (3) die Verwendung des echten Namens die Menschen für ihre Aktionen im Internet verantwortlich machen würde {York, 2011}.

Auch wenn diese Argumente nicht ganz von der Hand zu weisen sind: Sie treffen nicht den Kern des Problems. Denn die strikten Klarnamen-Verfechter müssen nicht zeigen, dass die Klarnamen-Pflicht, einen Vorteil hat. Im Gegenteil: Sie müssen zeigen, dass diese Vorteile gegenüber den ernsten und grossen Nachteilen überwiegen {York, 2011}.

Anonymität ist wichtig für die Meinungsäusserungsfreiheit

Die Abschaffung der Anonymität im Internet hat die gleiche Wirkung wie das Vermummungsverbot für Demonstrationen: Durch den chilling effect derartiger Regelungen wird die Meinungsäusserungsfreiheit – zwar nur indirekt, aber nicht minder wirkungsvoll – beeinträchtigt {Leutert, 2001, 23}. Demonstranten, die sich nicht vermummen dürfen, können aus Angst vor persönlichen Nachteilen zurückschrecken und einer Kundgebung fern bleiben; Mitarbeiter, die befürchten müssen, wegen ihrer Kritik an Vorgesetzten oder Geschäftspraktiken nicht befördert zu werden, werden ihre Kritik nicht äussern.

Aus diesem Grund anerkannte etwa der US-amerikanische Supreme Court 1995 in seiner Entscheidung McIntyre v. Ohio Elections Comm’n: «Anonymity is a shield from the tyranny of the majority. […] It thus exemplifies the purpose behind the Bill of Rights, and of the First Amendment in particular: to protect unpopular individuals from retaliation—and their ideas from suppression—at the hand of an intolerant society. The right to remain anonymous may be abused when it shields fraudulent conduct. But political speech by its nature will sometimes have unpalatable consequences, and, in general, our society accords greater weight to the value of free speech than to the dangers of its misuse.» {McIntyre v. Ohio Elections Comm’n, 1995}.

Anonymität beugt Vorurteilen vor

Darüberhinaus gewährleistet die Anonymität bis zu einem gewissen Grad die Vorurteilsfreiheit. Wenn der Verfasser eines Artikels unbekannt ist, besteht nicht die Gefahr, dass die Bewertung des Inhalts durch die Bewertung der Person des Verfassers verfälscht wird – ein Vorteil, den sich beispielsweise viele wissenschaftliche Fachzeitschriften zunutze machen, indem sie die eingereichten Manuskripte anonymisieren und durch anonyme Experten begutachten lassen {Weller, 2001, 207 ff.}.

Zusammenfassung

Das kritikasterblog bleibt anonym. Die Vorteile einer Offenlegung der Identität sind für dieses Blog (1) nicht einschlägig und (2) überwiegen m. E. die möglicherweise dadurch entstehenden Nachteile; zudem sollen auf dem kritikasterblog die Inhalte und nicht die Person des Verfassers im Vordergrund stehen.

Quellenverzeichnis

{Leutert, 2001} — Leutert, Stefan (2001). Das Vermummungsverbot aus polizeirechtlicher und grundrechtlicher Sicht, Bern. Zurück zum Text

{McIntyre v. Ohio Elections Comm’n, 1995} — McIntyre v. Ohio Elections Comm’n 514 U.S. 334 (1995). Zurück zum Text

{Rudin, 2008} — Rudin, Beat (2008). Das Recht auf Anonymität: Anonymität als Teil der informationellen Selbstbestimmung: wenig geregelte Anwendungsfälle und viel Handlungsbedarf. digma, 1: 6–13. Zurück zum Text

{Rudin, 2007} — Rudin, Beat (2007). Datenschutzgesetze – fit für Europa, Zürich. Zurück zum Text

{Weller, 2001} — Weller, Ann C. (2001). Editorial peer review: its strenghts and weaknesses, Medford. Zurück zum Text

{York, 2011} — York, Jillian C. (2011). A Case for Pseudonyms. Abrufbar unter: https://www.eff.org/deeplinks/2011/07/case-pseudonyms. Zurück zum Text